Montag, 12. Oktober 2009

Sarrazin auf der Couch?

Das Interview der Lettre International mit Thilo Sarrazin, genauer: bestimmte Äußerungen innerhalb des langen Interviews (Auszug) waren ein Thema, auf das sich vor allem die Online-Communities (die halbanonymen Benutzer der Internetforen) warfen. Ob bei der Zeit, dem Tagesspiegel oder der Bild: die Online-Leser machten die Meinungen des Ex-Senators zu einem der meistdiskutierten Themen überhaupt.

Dann wurde das Volk auch direkt befragt. Nach einer im Auftrag der Bild durchgeführten Studie stimmt eine knappe Mehrheit dem ehemaligen Berliner Finanzsenator zu (vgl. heise.de "Die Integrationsfähigkeit der Äußerungen Sarrazins"). Wobei das Ergebnis fraglich ist, denn es wird recht suggestiv gefragt. Kaum jemand zitiert sämtliche Äußerungen und auf dieser neuen Grundlage wird dann "abgestimmt" (hier ein Beispiel einer stark entschärften Wiedergabe - nur die vergleichsweise harmloseren Äußerungen werden zitiert und das Interview insgesamt, von dem viel eben auch verschwiegen wird, soll dann eben gar nicht problematisch sein; vgl. auch welt.de)

Auf der anderen Seite veröffentlichten bald auch Zeitungen und Magazine Kommentare zu Sarrazin und schlossen sich, wie etwa die Wirtschaftsblätter FTD und Handelsblatt, der Kritik des Bundesbankpräsidenten an (Sarrazin müsse nach diesen diskriminierenden Äußerungen seinen Posten räumen) oder verteidigten Sarrazin. Bild, Zeit und Tagesspiegel u.a. meinten, dass Sarrazin nicht immer den "richtigen Ton" getroffen habe, aber in der Sache vollkommen richtig liege (mittlerweile sind die Beiträge kaum noch zu überblicken).

Nun zogen auch öffentlich-rechtliche Medien nach: der WDR veranstaltete eine "Hart, aber fair"-Runde, wo Herr Ströbele und eine Einwanderin sich gegen eine Mehrheit der Sarrazin-Verteidiger ihrer Haut erwehren müssen (vor allem Frau Kilicarslan durfte selten ausreden, v.a. nicht, wenn sie Belege anführen wollte gegen so viele unbewiesene Behauptungen. An einer Stelle wollte sie Belege für schulische Benachteiligung der Einwandererkinder liefern, wurde aber lautstark zum Schweigen gebracht.)

Manche Frage bleibt offen, dem Einwanderer scheint eine besonders wichtig: seit wann wird denn im Fernsehen darüber abgestimmt, ob jemand wie Sarrazin gegen Gesetze verstoßen hat oder nicht (immerhin, das ist ein wenig in Vergessenheit geraten, wurden gegen Sarrazin wegen Anfangsverdachts seitens der Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen)? Auch nicht unbedeutend ist u.E. die Frage, was mit dem Rundum-Herabwürdigen von Minderheiten eigentlich erreicht werden kann und soll. Aber bereits dass hier herabgewürdigt werde, wird ja heftig bestritten. Dialog ist da unmöglich.

Es ist ja schon überhaupt nicht nachvollziehbar, dass man einerseits Benachteiligung feststellt (man zählt ganz richtig auf, dass manche Einwanderergruppen und ihre Nachkommen rechtlich, sozial und politisch schlechter gestellt sind), diese aber den Benachteiligten selbst anlastet.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen